Die Geschichte der Kirchen- und Schulorganisation des Landkreises Lötzen

 
                                                 
 

Von den Anfängen bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts

Zwei Denkmäler erinnern in Ostpreußen an die ersten Bekehrungsversuche der heidnischen Prussen durch christliche Missionare:

1) das St. Adalbertkreuz in Tenkitten im Samland und

2) das St. Brunokreuz in Lötzen – hoch über dem Löwentinsee (siehe Rubrik Sehenswürdigkeiten).

Ob aber der Bischof Adalbert von Prag im Jahre 997 den Märtyrertod tatsächlich im Samland erlitten hat oder bei Truso in der Nähe von Elbing ist umstritten.

Bruno von Querfurt, ein Grafensohn aus einem altthüringischen Geschlecht, der Kaiser Otto III. nahe stand, ist vom Papst zum Erzbischof der Heiden geweiht worden. Er unternahm Reisen nach Ungarn, Westrussland und Polen und ist bei seinen Missionierungsversuchen im Prussengau Sudauen 1009 von Einheimischen erschlagen worden. Wo das aber tatsächlich geschah, ob bei Lötzen oder – wie auch behauptet wird – in der Nähe von Braunsberg, ist nicht genau bekannt. Das ihm zu Ehren 1910 in Lötzen errichtete Denkmal bezeichnet also nur einen symbolischen Ort der kirchlichen Erinnerungstradition, die mit der tatsächlichen Bekehrung der Prussen in keinem direkten zeitlichen Zusammenhang steht.

der Märtyrertod des Adalbert

   
                       
   

Bruno von Querfurt

 
 

ein Holzkirchlein

                     
   

Die Besiedlung und Missionierung durch den Deutschen Ritterorden setzte in der Region um Lötzen und Rhein frühestens um die Mitte des 14. Jahrhunderts ein. In der 1340/50 errichteten Burg Lötzen ist auch eine Kapelle erwähnt, von welcher aus die geistliche Betreuung der Burgbesatzung und der Bewohner sowie ersten Siedler in der Umgebung erfolgt sein dürfte.

   
                         
     

Glocke vermutlich aus Rhein

 
                       
   

So könnte die erste Kapelle in Lötzen ausgesehen haben – ein kleines Holzkirchlein

           
                       
                               
 

Kirchenorganisatorisch gehörte die Region Lötzen/Rhein während der Ordenszeit zum bereits 1243 eingerichteten Bistum Ermland. Sitz eines Erzpriesters, der als mittlere Instanz zwischen den Kirchspielen und dem Bischof agierte, war in katholischer Zeit u.a. Rössel. Die in Preußen seit dem 14. Jhdt. anzutreffende Bezeichnung Archidiakon (Erzpriester) ist hier erst 1806. durch die Bezeichnung Superintendent abgelöst worden. Dessen geistlichen Aufsichtsbezirk bezeichnete man auch als Inspektion, in neuerer Zeit als Diözese oder Kirchenkreis. Erzpriester gab es in evangelischer Zeit u. a. in Rastenburg, Angerburg, Hohenstein, Lyck und in Neidenburg.

     
     

Glocke aus dieser Zeit, vermutlich aus Rhein
(Ostpreußisches Landesmuseum Lüneburg)

 
                               
                                                 
 

Zu Beginn der Herzogszeit wurden die ursprünglich zur katholisch gebliebenen Diözese Ermland gehörigen Gebiete Oberland und Masuren vom Bistum Ermland abgetrennt und zur evangelischen Diözese Pomesanien geschlagen. Zu dieser gehörten nun auch die Hauptämter Lötzen und Rhein. Nach der endgültigen Aufhebung der Bischofsverfassung (1587) war diese Region dem Konsistorium in Saalfeld unterstellt. Seit 1751 gab es im Herzogtum Preußen nur noch ein Konsistorium mit dem Sitz in Königsberg. Dieses war dem kurz zuvor eingerichteten Oberkonsistorium in Berlin unterstellt. Die Einrichtung von Archidiakonaten wurde auch in evangelischer Zeit fortgeführt. Ehe es selbst zum Sitz einer Superintendantur wurde, gehörte das Lötzener Gebiet zur Inspektion Rastenburg, später zu Angerburg. Das Rheiner Gebiet gehörte zwischenzeitlich zur Inspektion Lyck.

Über die Anfänge einzelner Kirchspiele und die Zuordnung einzelner Dörfer zu diesen ist kaum etwas überliefert. Die Anlage von Pfarrkirchen und die Bildung von Kirchspielen beruhten nicht auf systematischen Planungen der Bischöfe, sondern folgten der Siedlungspolitik des Landesherrn.

 
 

Deutsches Ordensland um 1500

 

Zunächst oblag die christliche Betreuung der prussischen Restbevölkerung und der Siedler bei den Ordenspriestern der Burgen Lötzen, Rhein und Eckersberg, wo schon früh Kapellen existiert haben. Die ersten Siedlungen, die in der Pflege Lötzen angelegt wurden (Stürlack, Mertenheim) gehörten vermutlich zu Schwarzstein (später Kr. Rastenburg), wo eine Kirche seit dem Ende des 14. Jhdts. nachgewiesen ist. Das Kirchspiel Neuendorff (Lötzen) ist vor 1475 entstanden. In der erneurten Handfeste für Neuendorff sind für den Pfarrer 4 Hufen ausgewiesen. Welche Gliederungen aber die Kirchspielnetze im einzelnen aufwiesen, steht für diesen Zeitraum noch nicht fest. In der Pflege Rhein hat ein Kirchspiel am Ende des 15. Jhdts. in Eckersberg bestanden. Es unterhielt eine Filialkirche in Arys. Die Burgkapelle in Rhein war dem Kirchspiel Rastenburg zugeordnet. Die Einrichtung eines Kirchspiels in Eichmedien scheint in der Ordenszeit noch nicht gelungen zu sein. Eine Kirche in Nikolaiken ist wohl schon in der vorreformatorischen Zeit vorhanden gewesen. Für das Jahr 1481 ist ein Pfarrer in Milken nachgewiesen. Im Ostteil der Pflege Lötzen kam es um 1487 zur Gründung von Kirchen in Jucha und Stradaunen, um 1499 in Kallinowen. Dadurch verringerte sich das Einzugsgebiet des Kirchspiels Lötzen.

 
       

Gebiet des Deutschen Ordens um 1500 

   
                         
                                                 
 

Hochmeister Albrecht war nach seinem Übertritt zum evangelischen Glauben (1525) und der Durchsetzung der Reformation im nunmehrigen Herzogtum Preußen bemüht, die Vorgaben der von ihm erlassenen Landes- und Kirchenordnung (veröffentlicht 1526 und durch spätere Neufassungen erweitert) umzusetzen. Zu diesem Zweck wurden Visitationen der einzelnen Kirchspiele durchgeführt, an denen die zuständigen Bischöfe und Erzpriester, weltliche Beamte, zeitweise der Herzog direkt beteiligt waren. Die Visitationen sollten der Reinheit der Lehre, der Verbesserung
der Kirchenzucht, einer angemessenen Pfarrerauswahl und der Kontrolle über die kirchlichen Finanzen und Gebäude dienen. Die in diesem Zusammenhang angefertigten Protokolle geben deutlichere Einblicke in die kirchliche Organisation, als sie für die Ordenszeit vorhanden sind.

 
 

Die ersten Visitationen in Masuren wurden von dem Rastenburger Erzpriester Michael Meurer vorgenommen. Er besuchte im Jahre 1529 die Kirchen in Lötzen, Milken, Eckersberg, Arys, Nikolaiken und Rhein. Visitationen wurden in Masuren auch vom pomesanischen Bischof Paul Speratus vorgenommen, z. B. in den Jahren 1533/34. Johann Wigand, war seit 1575 Bischof von Pomesanien. Nach dem Tod des samlänischen Bischofs Heshusius übernahm Wigand 1577 auch die Verwaltung des Bistums Samland. Nach Wigands Tod im Jahre 1587 sind im Herzogtum Preußen keine Bischöfe mehr ernannt worden.

Bischof Wigand hat Visitationen in Lötzen 1574 und 1579 vorgenommen. Pfarrer Dannovius war um diese Zeit an der Lötzener Kirche tätig. Als zweiter Prediger
(Diakon) amtierte hier Joachim Lempitza. Der Pfarrer erhielt eine Besoldung von 80 Mark (sollte nach der Visitation auf 100 Mark erhöht werden), der Diakon erhielt 50 Mark. Hinzu kamen Einkünfte aus dem Landbesitz der Pfarrgemeinde (= 4 Hufen).
Die in den Visitationsprotokollen – wie auch dem Lötzener von 1574 – immer wieder angemahnte Festigung des christlichen Glaubens in seiner lutherischen Auslegung
war in den mehrsprachigen Gebieten des Herzogtums (litauische und masurische
Ämter) nur möglich, wenn die Geistlichen die entspr. Sprachen beherrschten. Nur so konnten sie die Verkündigung des Evangeliums, wie es Luther gefordert hatte, in der Muttersprache vornehmen, ohne auf Übersetzer (Tolken) angewiesen zu sein.

Dem Mangel an polnischsprachigen Pfarrern suchte Herzog Albrecht dadurch abzustellen, dass er bei der Stiftung von 24 Stipendien für angehende Pfarramtskandidaten an der Universität Königsberg 7 für polnischsprachige Kandidaten reservieren ließ. Um aber auch entspr. mehrsprachigen Nachwuchs auszubilden, war es nötig, das Bildungswesen insgesamt zu heben. Und dafür war die Einrichtung weiterer Schulen unabdingbar.

     

Paul Speratus

 
                   
       

Paul Speratus 1530 – 1551

 
                   
       

Martin Luther

 
                                       
                                                 
                                     

Martin Luther 1483 – 1546

 
                                                 
 

Schulen sind seit dem letzten Drittel des 16. Jhdts. in Passenheim, Angerburg und Lötzen nachgewiesen. Etwas früher hat es schulische Ansätze in Lyck gegeben, wo Hieronymus Maletius nicht nur als Pfarrer, sondern auch als Schulrektor amtierte.1587 ist hier eine Provinzialschule eingerichtet worden, in der Unterricht in lateinischer und polnischer Sprache erteilt wurde, um die Absolventen auf ein Universitätsstudium vorzubereiten. In Tilsit existierte eine Schule für litauischsprachige Studienanwärter, in Saalfeld eine für deutschsprachige. In den Kirchspieldörfern hat es Ansätze einer schulischen Ausbildung durch die jeweiligen Pfarrer gegeben, jedoch sind Einzelheiten nicht bekannt.

 
                                                 
                 

Für die Verkündigung und Befestigung der evangelische Lehre und die Zurückdrängung heidnischer Bräuche war auch ein Grundbestand an reformatorischer Literatur, insbesondere der wichtigsten Schriften und Predigten Martin Luthers, erforderlich. Vor allem Herzog Albrecht hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass diese Werke nicht nur in deutscher, sondern auch in prussischer, polnischer und litauischer Sprache bereitgestellt wurden. Königsberg war der bedeutendste Druckort reformatorischer Bekenntnisschriften in nichtdeutscher Sprache. Hier erschien bereits 1533 Luthers Kleiner Katechismus in polnischer Sprache. 1547 lag der Große Katechismus, übersetzt von Johann Seclutian, in polnischer Sprache vor. 1559 folgte das erste polnische Gesangbuch. Übersetzungen der lutherischen Bekenntnisschriften wurden auch von dem Lycker Pfarrer Johann Maletius vorgenommen. Sein Sohn Hieronimus, Pfarrer und Druckereibesitzer in Lyck, legte 1574 Luthers Hauspostille in polnischer Übersetzung vor. Neben polnischen Übersetzungen erschienen auch Übersetzungen in die litauische Sprache und prussische Sprache. Wegen anhaltenden Bedarfs wurden diese Übersetzungen auch in der Folgezeit neu aufgelegt bzw. durch neue Übertragungen ergänzt.

 
 

Luthers Kleiner Katechismus

     
                                     
                                                 
 

Kleiner Katechismus,

Übersetzung 1586 (Titelblatt)

                                 
                                                 
 

Im Herzogtum Preußen hat sich seit dem Reformationszeitalter eine gewisse Form religiöser Duldsamkeit entwickelt, die Glaubensflüchtlingen aus anderen Ländern Zuflucht gewährte. Diese Toleranz galt aber vorrangig Protestanten. Katholiken begegnete man vor allem seit der einsetzenden Gegenreformation mit Ablehnung. Juden war in Masuren eine Ansiedlung nicht gestattet. Die kirchliche Verwaltung war meist im Zusammenwirken mit den evangelischen Theologen der Universität Königsberg. streng darauf bedacht, dass sich keine Irrlehren einschlichen, d. h. Abweichungen von der lutherischen Lehre. Bis sich diese endgültig durchsetzen konnte, gab es innerhalb des Herzogtums und auch nach dem Übertritt des Kurfürsten Johann Sigismund zum Kalvinismus (1613) immer wieder religiöse Richtungsstreitigkeiten. Nur auf zwei von der lutherischen Lehrmeinung abweichende Richtungen sei hier hingewiesen, weil sie besonders stark in die Region um Lötzen und Rhein hineinwirkten: die Täuferbewegung und den Arianismus. Die spiritualistischen Richtungen, wie z.B. die Täuferbewegung, hatten in Preußen an dem einflussreichen Amtshauptmann von Johannisburg, Friedrich von Heydeck (+ 1536), eine starke Stütze gefunden. Dieser begünstigte die Besetzung von Pfarrstellen in den Ämtern Johannisburg und Lötzen mit Pfarrern, die der Täuferbewegung nahe standen, aber von den orthodoxen Lutheranern schroff abgelehnt wurden. Auch der Lötzener Pfarrer Peter Zenker sympathisierte mit den Täufern.

Arianer – sie lehnten die Trinitätslehre ab – die im 17. Jhdt. ihre größten Erfolge in Polen feierten, fanden in Masuren Zuflucht. Hier zeigte man sich gegenüber den Arianern (auch Antitrinitarier genannt) tolerant, obwohl die lutherische Ortthodoxie streng an der Lehre von der Dreieinigkeit festhielt. So gestattete z. B. der Statthalter von Preußen Boguslaw Radziwill – selbst Kalvinist – den Arianer Morsztyn 1661 zum kurfürstl. Rat zu ernennen. Er besaß das Gut Rudowken im Amt Rhein. Arianische Adelsfamilien aus Polen sind auch auf anderen Gütern der Region Lötzen/Rhein nachzuweisen, z. B. in Skomatzko, Pierkunowen und Bogatzewen.

Am Ende des 16. Jhdts. existierten auf dem Gebiet der Hauptämter Lötzen und Rhein die folgenden Kirchspielorte: Lötzen, Milken, Groß Stürlack, Rydzewen, Rhein, Eckersberg, Arys, Nikolaiken, Eichmedien, Schimonken und
Klaussen. Die ihnen zugehörigen Dorfschaften und Güter sind weitestgehend bekannt, sollen aber hier nicht einzeln aufgeführt werden. Es gab auch schon um diese Zeit Ortschaften, die auf dem Gebiet der Ämter Lötzen und Rhein lagen, aber zu Kirchspielen benachbarter Ämter gehörten. Auch umgekehrte Fälle sind zu belegen. Das Erbhauptamt Neuhoff bildete zu dieser Zeit noch ein eigenes Kirchspiel.
 

     
 

Kirchspielgründungen

Die Kirchspieldörfer waren meist mit vier Hufen ausgestattet. Diese bildeten die Ernährungsgrundlage für den amtierenden Pfarrer, seine meist große Familie und seine Hilfskräfte. Daneben stand den Pfarrern ein jährliches Gehalt unterschiedlicher Höhe zu, je nach der Größe des Kirchspiels. Das Pfarrgehalt hatte die Kirchenkasse zu erbringen, in welche die Zehntabgaben (Decem) der Eingepfarrten flossen (Berechnungsgrundlage: Hufenzahl bzw. Kopfzahl z.B. für Losleute, Knechte, Mägde, Hirten und Handwerker ohne Landbesitz). Über die Einnahmen und Ausgaben der Kirchenkasse wurden jährliche Kirchenrechnungen erstellt.

       
                                         
                                                 
 

Neben der Hufennutzung und ihrem Gehalt standen den Pfarrern noch Naturalleistungen der Gemeindeinsassen zu (Kalende). Auch die Gebühren für kirchliche Handlungen (Stolgebühren) wie Hochzeit, Begräbnis, Glockengeläut und die regelmäßigen Kollekten flossen in die Kirchenkasse. Die Kirchspielorte verfügten meist über eine Pfarrstelle.
Sofern am Ort schon eine Schule vorhanden war, versah der Lehrer gleichzeitig das Kantorenamt. Kirchenvorsteher, aus einer Gemeinde des Kirchspiels stammende Laienkräfte, unterstützten den Pfarrer vornehmlich bei Verwaltungsaufgaben. Die ersten Kirchen waren in der Regel Holzbauten, sind aber später durch Steinbauten ersetzt worden. Die entstehenden Kosten hatte die Gemeinde (Hand- und Spanndienste) sowie der Patron und der Landesherr zu tragen, die meist das Bauholz zur Verfügung stellten. Die meisten Kirchspiele standen unter landesherrlichem Patronat. Nur Eichmedien stand seit der Übernahme durch die Familie v. Hoverbeck (um 1642) unter adligem Patronat , ebenso das im Erbhauptamt Neuhoff gelegene Kirchspiel.

18. und 19. Jahrhundert

In der Zeit des aufkommenden Absolutismus, vor allem seit dem Regierungsantritt König Wilhelms I. (1713) wurde die kirchliche Verwaltung noch stärker staatlichen Erfordernissen untergeordnet als in früherer Zeit, weltliche und geistliche Aufgabenbereiche strenger zusammengefasst und der alleinigen Weisungsbefugnis des Landesherrn als oberstem Bischof (summus episcopus) unterstellt.

In die Regierungszeit der Könige Wilhelm I. und Friedrich des Großen fiel nicht nur die Wiederbesiedlung der durch die Pest entvölkerten Gebiete Ostpreußens. Auch um die Förderung des ländlichen Schulwesens war man jetzt stärker bemüht. Dieses war in Preußen seit seinen Anfängen eng mit der kirchlichen Organisation verflochten. Aber die städtischen Schulen und die an den Kirchspieldörfern bestehenden Schulen, waren meist nur den Kindern der oberen sozialen Schichten vorbehalten. An Schuleinrichtungen für die dörflichen Bewohner mangelte es, und die meisten Lehrer waren schlecht ausgebildet. Die 1717/18 erlassenen Schuledikte zeigten allerdings zunächst kaum Auswirkungen. Erst 1734 wurden die einzelnen Kirchspiele verpflichtet, Schulen einzurichten und zu unterhalten.
Eine kirchliche Kommission stellte Regeln (Principia regulativa) für die preußischen Elementarschulen auf. Aber ihre flächendeckende Durchführung erforderte noch längere Zeit. Weil in vielen masurischen Dörfern die Einwohner die Kosten für Schulbauten nicht aufbringen konnten, wurde dafür ein besonderer kgl. Schulfond gestiftet, dessen Mittel aber bei weitem nicht ausreichten. Die Unterhaltung einer Schule und das Gehalt für den Lehrer waren von der Dorfgemeinde zu tragen. Die Mittel dafür wurden durch die Erhebung von Schulgeld aufgebracht. Hauptamtliche Lehrer waren damit nur selten zu bezahlen, und so erteilten in den kleinern Dörfern meist Handwerker und Kriegsinvaliden den Unterricht. Neben einem kleinen Gehalt gewährte man ihnen wirtschaftliche Vorteile (z. B. freies Brennholz, Weiderechte ). Trotzdem fristeten sie ein sehr bescheidenes Dasein. Das Schulangebot konnte nicht von allen Kindern genutzt werden. Vor allem die Kinder kleiner Bauern konnten es sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht immer erlauben, ihre Kinder in die Schule zu schicken, weil sie diese für Feldarbeiten oder zum Hüten des Viehs brauchten. Auch schlechte Wegeverhältnisse verhinderten häufig einen regelmäßigen Schulbesuch – trotz bestehender Schulpflicht.

In den Kirchspieldörfern war es mit der schulischen Versorgung etwas besser gestellt. Kantoren mit theologischer Ausbildung waren hier auch als Schulmeister tätig. Beaufsichtigt wurden sie dabei vom Ortspfarrer, dieser wiederum vom zuständigen Superintendenten, der zu diesem Zweck regelmäßige Visitationen in den Kirchen und Schulen durchführte. Erst gegen Ende des 19. Jhdts. übernahm die staatliche Seite die Aufsicht auch über das ländliche Schulwesen.

Nicht nur um die Hebung des Bildungsniveaus war man bemüht, wenn auch nicht immer mit befriedigen Erfolgen, sondern auch die Kirchenzucht wurde seit der Zeit Wilhelms I., der sehr religiös eingestellt war, verschärft. So wurde es z. B. Pfarrern verboten, weltliche Gewerbe wie eine Krugwirtschaft zu betreiben. Auch die Verhängung von Kirchenstrafen wurde bei Ehebruch, Unzucht, Gotteslästerung, unregelmäßigem Kirchenbesuch jetzt häufiger vorgenommen.

1789 lagen die Kirchspiele der Region Lötzen/Rhein in den folgenden Inspektionen (Superintendanturen):
* Rastenburg = Kirchspiele Rhein, Nikolaiken, Eichmedien, Schimonken;
* Angerburg = Lötzen, Milken, Rydzewen, Stürlack;
* Lyck = Kallinowen, Neuhoff, Widminnen;
* Johannisburg = Arys, Eckersberg, Klaussen.


Staatliche Verwaltungsbezirke und kirchliche Inspektionsbezirke waren in dieser Zeit noch keineswegs deckungsgleich. Seit 1818/20 gehörten zum Kreis Lötzen die Kirchspiele. Lötzen, Milken, Widminnen, Rydzewen, Neuhoff, Rhein und Stürlack. Die Kirchspiele Kallinowen und Klaussen wurden zum Kreis Lyck, Eckersberg und Arys zum Kreis Johannisburg und Nikolaiken sowie Schimonken zum Kreis Sensburg geschlagen.

Der während des Sprachenstreits in Masuren agierende Osteroder Geistliche Gustav Gisevius (1810–1849), welcher sich für die Bewahrung der masurischen Sprache und Volkskultur eingesetzt hatte, ist 1946 zum neuen Namensgeber für Lötzen (Giżycko) geworden.

Seit der friderizianischen Zeit hatte sich die Anzahl der Kirchspiele in Ostpreußen nur unwesentlich erhöht. Mittelknappheit, Kriege (Siebenjähriger Krieg, Napoleonischer Krieg) und nicht zuletzt Ängste und Streitigkeiten von Pfarrern, die um eine Beeinträchtigung ihrer Einkünfte besorgt waren, hatten dies verhindert oder hinausgezögert. Als ein Beispiel schlechter kirchlicher Versorgung sei hier nur auf Milken hingewiesen, dessen 84-jähriger Pfarrer im Jahre 1865  7000 Seelen zu betreuen hatte. Die unzureichende kirchliche Versorgung resultierte vornehmlich aus der Übergröße der vorhandenen Kirchspiele und einer zu geringen Anzahl von Geistlichen. Deshalb verfügte Kg. Wilhelm IV., der sich häufig in Masuren aufgehalten hatte, dass die Seelenzahl eines Kirchspiels nicht mehr als 5000 betragen sollte.

In den Jahren von 1853 bis 1892 entstanden in Ostpreußen, im Regierungsbezirk Gumbinnen, insgesamt 23 neue Kirchspiele. Dazu gehörten auch Orlowen (1853 gebildet) und Königshöhe (1892 gebildet). Die Einrichtung, vielfach mit darauf folgenden Neubauten von Kirchengebäuden verbunden, war nun durch weiter ansteigende Einwohnerzahlen dringend erforderlich geworden. Sie sollte auch dem liberalen Zeitgeist entgegenwirken, der viele Menschen den Kirchen entfremdete oder zu Sekten übertreten ließ, die außerhalb der evangelischen Landeskirche standen und auch im Kr. Lötzen anzutreffen waren (z. B. Baptisten, Neuapostolische Gemeinden, Freireligiöse Gemeinden). Besonders die Bewegung des Gutsbesitzers und Laienpredigers Droste hatte in den Kreisen Fischhausen und Lötzen zahlreiche Anhänger. Eine neu aufkommende Gemeinschaftsbewegung, anknüpfend an die pietistische Frömmigkeitsbewegung des 18. Jhdts., widmete sich der inneren Erneuerung des kirchlichen Lebens. Zu ihren Zielen gehörten die Vertiefung des religiösen Bewusstseins innerhalb der Kirche und die Belebung der Gemeindearbeit durch Laienpredigten Hausgottesdienste und Gebetsversammlungen. Die Prediger dieser Gemeinschaftsbewegungen forderten die Enthaltung von weltlichen Vergnügungen (Tanzen. Kartenspiel) sowie den Verzicht auf Alkohol- und Tabakgenuss.

Diese Erweckungsbewegung hatte vielerlei Gruppierungen (Kukatianer, Albrechtsbrüder, Reichsbrüder, Chrischona-Anhänger), die sich teils mit den Zielen der Amtskirche identifizierten und nur deren innere Erneuerung fördern wollten, teils diese bekämpften und von der Amtskirche verfolgt wurden. In Masuren hatten die Gromadki genannten Anhänger dieser Bewegung zeitweise starken Zulauf. Die Christliche Gemeinschaft innerhalb der Landeskirche, die in diesem Umfeld entstanden ist, war bis 1945 auch im Kreis Lötzen vertreten.

Mit der Verbesserung ihrer Organisationsstruktur war in der evangelischen Kirche auch eine stärkere Hinwendung zu den sozial Bedürftigen und zu Randgruppen verbunden, die nach dem christlichen Selbstverständnis besonderer Fürsorge bedurften. Im Zusammenwirken mit den Gemeindekirchenräten nahm sich die Innere Mission ihrer Probleme an, die in Königsberg einen Provinzialverein gegründet hatte. Dieser bemühte sich mit anderen wohltätigen Vereinen und Stiftungen z. B. um die geistige und materielle Betreuung der zahlreichen Arbeiter, die am Ausbau der ostpr. Bahnstrecken (Ostbahn, Südbahn) beteiligt waren, und um die zahlreichen Waisen, deren Eltern den auftretenden Seuchen in der 2. Hälfte des 19. Jhdts. (Cholera 1831, 1873; Hungertyphus 1867, Pockenepidemie 1870) zum Opfer gefallen waren. Die in der Stadt Lötzen angesiedelten Einrichtungen wie das 1868 errichtete Masurische Erziehungshaus und das 1910 geweihte Mutterhaus Bethanien sind auf diesem Hintergrund zu betrachten. Seit dem Anfang des 19. Jhdts. wurden auch zahlreiche Vereine gegründet, die sich für unterschiedliche soziale und Wohlfahrtszwecke einsetzten (Kinderbetreuung, Gefangenenhilfe und Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs).

       
 

Siegel_Konsistorium

 

1860 wurde im Kgr. Preußen eine neue Gemeindekirchenordnung eingeführt. Diese sah auch die Einrichtung von Gemeindekirchenräten (2–12 Mitglieder) vor, die unter Vorsitz des Pfarrers tagten. In früheren Zeiten hatten Kirchenvorsteher die Arbeit der Gemeinden unterstützt. Auch die Beratung in Provinzial- und Kreissynoden sowie Pfarrertagungen wurden jetzt Teil der Kirchenorganisation. Die Spitze der Hierarchie bildeten auf Provinzebene der in Königsberg amtierende Generalsuperintendent sowie das Konsistorium. Die preußische Gesetzgebung über Schulaufsicht und Zivilstand aus dem Jahre 1874 haben sowohl in katholischen wie auch evangelischen Bevölkerungskreisen anfangs starke Kritik hervorgerufen. Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle, seit ältesten Zeiten von den Kirchen beurkundet und in Kirchenbüchern festgehalten, wurden jetzt ausschließlich von staatlich bestellten Standesbeamten vorgenommen. Die Beteiligung der kirchlichen Seite wurde freigestellt und weckte hier Befürchtungen, dass die christliche Gesinnung der Bevölkerung dadurch geschwächt würde. Das bewahrheitete sich aber nicht. Taufe, Konfirmation, Hochzeit und kirchliche Sterbebegleitung zeigten auch nach 1874 keine wesentliche Abnahme.

       
 

Siegel des Ostpreußischen Konsistoriums

       
             
                                                 
 

20. Jahrhundert

Gemäß dem Kirchspielverzeichnis von 1926 existierten im Kirchenkreis Lötzen die folgenden sieben evangelischen Kirchspiele: Gr. Stürlack (1598) 2133 Seelen; Königshöhe (1892) 1793 Seelen; Lötzen (vorref.) 15.000 Seelen; Milken (vorref.) 6058 Seelen; Neuhoff (1550) 1760 Seelen; Orlowen (1853) 3300 Seelen und Rhein (1528) mit 600 Seelen. Angehörige anderer Konfessionen waren im Kirchenkreis Lötzen nur sehr sporadisch vertreten. Kreis- und Kirchspielgrenzen waren auch in der jüngsten Zeit noch nicht voll deckungsgleich. Schniedowen (Ksp. Königshöhe) war verwaltungsmäßig dem Kr. Sensburg zugeordnet. Dobrowolla, Kr. Lyck zählte zum Ksp. Orlowen, ebenso der Forstbezirk Walisko, Kr.Angerburg. Das Gut Wessolowen, im Kr. Oletzko, Rgb. Königsberg gelegen, war ebenfalls dem Ksp. Orlowen zugeordnet.

Während des Ersten Weltkrieges waren 35 der 41 Kirchenkreise Ostpreußens von russischen Truppen besetzt. Hunderttausende Menschen waren innerhalb der Provinz in Flüchtlingstrecks unterwegs. Ein Teil der Bewohner floh in westliche Gebiete des Reiches. Von den Kriegszerstörungen waren auch viele Kirchen betroffen. Die Kirche von Milken war schwer beschädigt, konnte aber nach dem Ende der Kampfhandlungen bald wieder hergerichtet werden. 1920 wurden in den Kirchen Bittgebete für den Verbleib der Abstimmungsgebiete bei der preußischen Landeskirche abgehalten.

Die Wirtschaftslage verschlechterte sich seit den 1920er Jahren zusehends. Armut und Arbeitslosigkeit verstärkten sich. Wegen Pfarrermangels konnten 1931 1/5 aller Stellen nicht besetzt werden. 1934 erhielt die vor zwei Jahren abgebrannte Kirche in Neuhoff einen Ersatzbau. Eine für 1933 für den Kirchkreis Lötzen anberaumte Generalvisitation musste abgesetzt werden, weil Generalsuperintendent Gennrich überraschend in den Ruhestand versetzt worden war.

       
 

Während der nationalsozialistischen Ära kam es zu staatlichen Übergriffen auch auf
die Kirche, zu zahlreichen Verhaftungen von Pfarrern, Verboten kirchlicher Organisationen, Einschränkungen der kirchlichen Presse und die Übernahme kirchlicher Sozialwerke in Staatsregie. Die kirchlichen Aktivitäten wurden auf Gottesdienst und Seelsorge beschränkt. Innerhalb der evangelischen Kirche kam es zu einer Spaltung. Auf der einen Seite stand die Bekennende Kirche, auf der anderen die der Deutschen Christen. Letztere vertraten Forderungen nach einem nationalkirchlichen und rassistisch ausgerichteten Christentum und suchten eine Synthese mit der nationalsozialistischen Ideologie. Diese Haltung wurde von der Bekennenden Kirche schärfstens bekämpft, trotz Verfolgungen durch die Staats- und Parteiorgane. Der Pfarrer an der Lötzener Stadtkirche, Theodor Kuessner, vertrat zeitweise Positionen der Bekennenden Kirche und war Teilnehmer der ostpr. Bekenntnissynode. Dem ostpr. Bruderrat als dem leitenden Organ der Bekennenden Kirche der Provinz gehörte er 1938 jedoch nicht an. Der Kirchenkampf zeigte seine Auswirkungen in den meisten Kirchengemeinden, die in ihrer Meinung vielfach gespalten waren.

   

Siegel_Bekenntnissynode

       
                   
                                                 
 

Die Evangelische Kirche der altpreußischen Union, wie sie 1817 durch den Zusammenschluss von Lutheranern und Reformierten entstanden war, ist durch Flucht und Vertreibung ihrer Gemeindemitglieder im Jahre 1945 untergegangen. Die im ehem. Kreis Lötzen unzerstörten Kirchengebäude werden heute von der überwiegend katholischen und orthodoxen Bevölkerung für gottesdienstliche Zwecke genutzt. In der Stadt Gyzicko existiert heute auch wieder eine evangelische Pfarrgemeinde.